Betrachtungen Eines Unpolitischen

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Zweite, durchgesehene Auflage © 1960. 1974 S. F i s c h e r V e r l a g G m b H , F r a n k f u r t am M a i n G e s a m t h e r s t e l l u n g : Hanseatische Druckanstalt GmbH, Hamburg Printed in Germany l e i n e n ISBN 3 1 0 0 4 8 1 7 7 1 Leder ISBN 3 1 0 7 4 8 1 0 1 7 BETRACHTUNGEN EINES UNPOLITISCHEN Que diable allait-it faire dans cette galère? Molière, ›Les Fourberies de Scapin‹ Vergleiche dich! Erkenne, was du bist! Goethe, ›Tasso‹ VORREDE Als ich im Jahre 1915 das Büchlein ›Friedrich und die große Koalition‹ dem Publikum übergeben hatte, glaubte ich, »dem Tag und der Stunde« meine Schuld entrichtet zu haben und mich den künstlerischen Unternehmungen, die ich vor Ausbruch des Krieges eingeleitet, auch im Toben der Zeit wieder widmen zu können. Das erwies sich als Irrtum. Wie Hunderttausenden, die durch den Krieg aus ihrer Bahn gerissen, ›eingezogen‹, auf lange Jahre ihrem eigentlichen Beruf und Geschäft entfremdet und ferngehalten wurden, so geschah es auch mir; und nicht Staat und Wehrmacht waren es, die mich ›einzogen‹, sondern die Zeit selbst: zu mehr als zweijährigem Gedankendienst mit der Waffe, — für welchen ich am Ende meiner geistigen Verfassung nach so wenig geschickt und geboren war, wie mancher Schicksalsgenosse nach seiner physischen für den wirklichen Front- oder Heimatdienst, und von welchem ich heute, nicht gerade im besten Wohlsein, ein Kriegsbeschädigter, wie ich wohl sagen muß, an den verwaisten Werktisch zurückkehre. Die Frucht dieser Jahre — aber ich nenne das keine ›Frucht‹, ich rede besser von einem Residuum, einem Rückstand und Niederschlag oder auch einer Spur, und zwar, die Wahrheit zu gestehen, einer Leidensspur — das Bleibsel dieser Jahre also, um den stolzen Begriff des Bleibens zu einem Substantiv nicht allzu stolzen Gepräges zurechtzubiegen, ist vorliegender Band: welchen ein Buch oder Werk zu nennen ich mich aus guten Gründen wiederum hüte. Denn eine zwanzigjährige, nicht ganz gedankenlose Kunstübung hat mich immerhin vor dem Begriff des Werkes, der Komposition zu viel Achtung gelehrt, als daß ich diesen Namen in Anspruch nehmen könnte für einen Erguß oder ein Memorandum, ein Inventar, ein Diarium oder eine Chronik. Um dergleichen aber, um ein Schreib- und Schichtwerk, handelt es sich hier, — obgleich der Band sich 9 zuweilen, mit halbem Recht übrigens, als Komposition und Werk präsentiert. Mit halbem Recht: Ein organischer und immer gegenwärtiger Grundgedanke wäre aufzuweisen, — wenn es nicht eben nur das schwankende Gefühl eines solchen wäre, von dem allerdings das Ganze durchdrungen ist. Man könnte von ›Variationen über ein Thema‹ sprechen, wenn dieses Thema nur eben präzisere Gestalt gewonnen hätte. Ein Buch? Nein, davon kann nicht die Rede sein. Dies Suchen, Ringen und Tasten nach dem Wesen, den Ursachen einer Pein, dies dialektische Fechten in den Nebel hinein gegen solche Ursachen, — es ergab natürlich kein Buch. Denn unter diese Ursachen zählte unzweifelhaft ein widerkünstlerischer und ungewohnter Mangel an Stoffbeherrschung, wovon auch das deutliche und beschämende Bewußtsein immerfort rege war und aus Instinkt durch eine leichte und souveräne Sprechweise verhehlt werden sollte .. . Trotzdem, wie ein Kunstwerk Form und Anschein einer Chronik haben kann (was ich aus Erfahrung weiß), so kann am Ende eine Chronik auch Form und Anschein eines Kunstwerkes haben; und so zeigt denn dies Konvolut, gelegentlich wenigstens, den Ehrgeiz und Habitus eines Werkes: es ist ein Mittelding zwischen Werk und Erguß, Komposition und Schreiberei, — wenn auch sein Existenzpunkt so wenig genau in der Mitte, in Wahrheit so viel mehr nach der Seite des Nicht-Künstlerischen liegt, daß man besser tut, es trotz seiner komponierten Kapitel als eine Art von Tagebuch zu nehmen, dessen frühe Teile aus den Anfängen des Krieges und de
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