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Langenscheidt Elf on Earth Elfe auf Erden von Anja Thieme Übungen und muttersprachliche Durchsicht: Carole Eilertson Lektorat: Gabriele Dietz Layout: Ute Weber Coverfoto: Fotolia Der Epilog aus William Shakespeares Sommernachtstraum auf S. 154 folgt der Übersetzung von August Wilhelm Schlegel. Für Eleonore und Jan www.langenscheidt.de © 2009 by Langenscheidt KG, Berlin und München ISBN 978-3-468-69417-2 One Tageslicht kitzelte Eivyn an der Nase. Sie nieste, rieb sich im Halbschlaf die Augen, blinzelte in die Sonnenstrahlen und streckte sich. Was war passiert? Schlaf? So ein Unsinn, nur Menschen schliefen. Oder konnte sie erst in Erscheinung treten, wenn es an der Zeit war? War es also so weit? Bei diesem Gedanken begann ihr gelbes Gewand zu funkeln vor Übermut. Here I am! Sie war da! Endlich! Sie sah sich um. Ein schmaler, hell gekachelter Raum, zwei hohe weiße Türen, gegenüber eine Duschkabine und in ihrem Augenwinkel ein Schatten, der sich bewegte ... Ein Schatten? Ein Monstrum! Pfeilschnell sprang es auf sie zu und landete mit einem Satz direkt vor ihr im Waschbecken. Eivyn duckte sich zwischen die Borsten des Rasierpinsels, in dem sie erwacht war. Angestrengt versuchte sie, an etwas Trauriges zu denken, damit das Strahlen ihres Gewandes sie nicht verriet. Doch das Ungeheuer schien sich nicht für sie zu interessieren – es blieb sitzen, wo es war. Vorsichtig lugte Eivyn zwischen den Borsten hervor. Die Bestie öffnete ihr Maul, die silbrige Zunge fuhr heraus und leckte am Wasserhahn. Vergeblich – der Hahn war fest zugedreht. “Oh, genau das habe ich befürchtet – nein, ich wusste es!”, maunzte der Schatten frustriert. Eine Katze. Eivyn legte sich eine Hand auf die Brust, um ihr erschreckt wummerndes Herz zu beruhigen, und atmete erleichtert durch. Schon in den Tagen der Pharaonen waren Katzen die Botschafter zwischen Menschenwelt und Traumreich gewesen; sie halfen Elfen, wo sie nur konnten. Oscar Wildes Kater hatte man sogar den Titel “Ritter von 3 Morphadia” verliehen für seine Dienste. Allerdings klang dieser Kater eher, als gehöre er Kafka. “Er vergisst, mir Wasser zu geben, aber den Hahn fest zuzudrehen, das vergisst er nicht! Meine Güte: Dies ist eine Wüste – dürstend kämpfe ich mich durch den rinnenden Sand meines Daseins.” Eivyn verstand kein Wort. Doch das Tier hörte sich so traurig an, dass sie sich weiter vorbeugte, um besser sehen zu können. Sie erblickte eine beeindruckend flache Persernase zwischen riesigen, kupferfarbenen Augen. Der zitronengelbe Schimmer ihres Gewandes ließ den Kater blinzeln. “Seid gegrüßt, ehrenwerte Dame!”, schnurrte er, ganz so, als entdecke er jeden Morgen eine Elfe auf der Badezimmerkonsole. “Pardon? What did you say?” Sie sprach Englisch ... Langsam dämmerte es Eivyn. Der Übersetzerkristall! Jede Muse erhielt einen Kristall, damit sie die jeweilige Landessprache ihres Menschen sprechen konnte. Und eben diesen Kristall hatte sie nicht! Mit Schaudern erinnerte sie sich an ihre Ankunft auf dem Londoner Flughafen. Haken schlagend war sie zwischen Menschenfüßen auf eine riesige, schwarze Ledertasche zugerannt, an ihr emporgeklettert und hatte sich vor all dem Lärm in einen halb offenen Kulturbeutel und die Haare des Rasierpinsels geflüchtet. So war sie mitsamt der Tasche angehoben worden und hatte sich erleichtert zwischen die Borsten fallen lassen. Wohin ihr Mensch wohl gereist war? Jedenfalls schien es Eivyn plötzlich erschreckend logisch, dass man eine Elfe beim ersten Ausflug in die Welt der Menschen in Begleitung ausschickte; es war sicher ratsam, etwas über den Beruf einer Muse zu wissen. 4 “Well!” Der Kater wechselte mühelos die Sprache. “A little guest from Britain in my home! What a surprise! Good morning, Milady. How do you do?” “How do you do?”, antwortete Eivyn freundlich. “Nice to meet you.” Der Kater schnurrte zufrieden. Anscheinend wusste er gut