1 CHRISTIAN GUDE Binärcode Kriminalroman GMEINER 2 Besuchen Sie uns im Internet: www.gmeiner-verlag.de © 2008 – Gmeiner-Verlag GmbH Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch Telefon 0 75 75/20 95-0
[email protected] Alle Rechte vorbehalten 2. Auflage 2008 Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart Titelfoto: ESA (European Space Agency) Abdruck mit freundlicher Genehmigung des ESOC (European Space Operations Center), Darmstadt Gesetzt aus der 9/12,8 Punkt GV Garamond ISBN 978-3-8392-3072-5 3 Sämtliche Protagonisten dieses Romans und ihre Handlungen sind frei erfunden, Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen zufällig. Nicht erfunden ist eine der faszinierendsten wissenschaftlichen Missionen europäischer Staaten, die den Grundstoff und die Inspiration für diese Geschichte lieferte. Für Hintergrundinformationen über dieses Projekt und die Art und Weise, mit der es in den fiktiven Kontext eines Kriminalromans eingebettet wurde, sei dem interessierten Leser die Lektüre des Nachwortes empfohlen. 4 PROLOG Er hielt die Fernbedienung in der Hand wie der Junkie die Pumpe. Keine Frage, er konnte aufhören, wann immer er wollte. Außerdem war es Freitagabend, am nächsten Morgen würde er ausschlafen, er hatte nichts vor, abgesehen von ein paar Besorgungen im Baumarkt. Nur zehn Minuten, nur mal schnell durchzappen, dann rasch ins Bett, damit er morgens frisch und ausgeschlafen war. Auf den Tasten herumspielend zauderte Rünz ein paar Sekunden, unentschlossen, ob er der Versuchung nachgeben sollte. Dann entschied er, dass Askese letztlich doch die unsympathischste Spielart menschlicher Süchte war. Er schaltete das Gerät ein, ließ sich in den Sessel fallen und klickte durch die Kabelprogramme, aber die Batterien seiner Fernbedienung gaben sich seinem Zapping-Exzess bald geschlagen. Träge und unfähig aufzustehen, war er einer Arte-Dokumentation über den Kriegsfotografen James Nachtwey ausgeliefert. Der Reporter stand mit einem Laboranten in einer Dunkelkammer, beide diskutierten einen noch tropfnassen, großen Schwarz-Weiß-Abzug. Das Foto zeigte einen zehn- oder zwölfjährigen Afrikaner, den Kopf kahl rasiert und übersäht mit den Schrunden und Narben des Überlebenskampfes, im Hintergrund unscharf die vom Bürgerkrieg verwüstete, menschenleere Straße im Außenbezirk irgendeiner afrikanischen Großstadt – Mogadischu, 5 Luanda, Brazzaville oder Abidjan. Aus ästhetischer Perspektive war die Aufnahme überaus raffiniert komponiert, das Gesicht des Jungen am unteren Bildrand angeschnitten, nur Augen und Schädel sichtbar. Er schien wie traumatisiert mit starrem Blick an Kamera und Fotograf vorbeizuschauen, konzentriert darauf, irgendwie die nächsten Stunden zu überstehen. Nachtwey gab dem Laboranten immer wieder Anweisungen für das optimale Abwedeln des Hintergrundes bei der Vergrößerung des Negativs, der Assistent erstellte einen Abzug nach dem anderen, eine schier endlose Prozedur, bis der Fotograf endlich mit dem Ergebnis zufrieden war. Die nächste Einstellung zeigte die gleiche Aufnahme, gerahmt, an einer weiß gekalkten Wand, auf einer Ausstellung, irgendwo in einem alten, umgewidmeten Lagergebäude der Chelsea Piers auf der Westseite Manhattans. Zwei Besucherinnen diskutierten engagiert die Bildkomposition, beide in präzise kalkuliertem Schmuddel-Look, den sie mit exklusiven Accessoires geschickt kontrapunktierten. Eine der Frauen deckte immer wieder Bereiche des Fotos mit der flachen Hand ab, wie um sich der Wahl des perfekten Ausschnittes zu vergewissern. Rünz öffnete sich eine Flasche Pfungstädter Schwarzbier, nahm einen großen Schluck und prostete dem Afrikaner zu. Der Junge hatte das Maximum erreicht, was ein Mensch in seine